Zum Abschluss des Indischen Filmfestivals Stuttgart 2022 wurden in den Innenstadtkinos zum 19. Mal der German Star of India in fünf Kategorien verliehen. Drei hochkarätig besetzte Jurys beurteilten die nominierten Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme. Den Director’s Vision Award vergab das Programmteam aus Festival- und Programmleiter Oliver Mahn und den Kuratorinnen Uma da Cunha und Therese Hayes. Mit dem Audience Award wird jener Film ausgezeichnet, den das Publikum direkt nach den Vorführungen am besten bewertet.
Bester Spielfilm: MEHRUNISA
Im Sieger-Spielfilm “Mehrunisa” kämpft eine 80-jährige Schauspielerin gegen das Patriarchat in Gesellschaft und Filmbranche. Nach dem Tod ihres Ehemanns verbrennt seine Witwe Mehrunisa öffentlich das Bett – „ein so unerhörtes Ereignis und ein so eindringliches Bild, dass man es noch lange nach dem Film im Kopf hat“, findet die dreiköpfige Jury, bestehend aus MFG-Mitarbeiter Maximilian Hoehnle, Regisseurin Anja Gurres und Produzent Louis Wick. Dies sei der Ausgangspunkt für eine wunderschöne Großmutter-Enkelin-Geschichte, „die Hierarchien in Frage stellt, Selbstbestimmung feiert und Hoffnung über die Kinoleinwand hinaus weckt. Indem sie die revisionistische Handlung eines historischen Filmdrehbuchs anprangern, nehmen Mehrunisa und Aliya die Filmindustrie aufs Korn und wenden das Blatt schließlich zugunsten einer historisch korrekten und geschlechtergerechten Erzählung“, so urteilt die Jury weiter. Die Besetzung, das Schauspiel und die Inszenierung seien erhaben, aber bescheiden und nah an den Figuren, ohne zu werten. „”Mehrunisa” spricht persönliche und gesellschaftliche Konflikte offen an, die so tief wie die liebenswerten Falten seiner Protagonistin sind, und umarmt sie von ganzem Herzen mit Pragmatismus und dunkel getöntem Humor,“ begründet die Jury ihr Votum.
Bester Kurzfilm: SUCCULENT
Die dreiköpfige Jury bestehend aus dem indischen Filmemacher Ramesh Holbole, der Dramaturgin Katharina Parpart und der ZDF-Redakteurin Alexandra Staib begründen ihre Entscheidung wie folgt: „Der Kurzfilm “Succulent” konfrontiert uns mit universellen Fragen nach dem Kern unseres Menschseins: Was macht uns als Individuen aus? Sind wir ersetzbar? Können Nähe und Zuneigung konstruiert und wie eine Dienstleistung eingekauft werden? Dabei zeigt der Film eine Gesellschaft der sozialen Distanz – und lässt sowohl an die Ausprägungen eines pervertierten Hyper-Kapitalismus als auch die Folgen der Corona-Pandemie denken. In dieser oft brutalen Welt von Verlorenheit und Vereinsamung beobachtet “Succulent” aber auch tröstliche Momente gegenseitiger Zuneigung und gleichzeitig deren Zerbrechlichkeit – etwa in der Beziehung der Hauptfigur zu ihrer betagten Kundin, deren Enkeltochter sie verkörpert. Auch handwerklich überzeugt ‚Succulent‘ mit einer klaren Ästhetik und einer konsequenten Bildsprache. Spektakuläre Drehorte treffen auf prägnante Dialoge, intensives Spiel der Darsteller*innen und einen atmosphärisch dichten Soundteppich. Dabei ist der Film klug genug, vieles in Andeutungen zu belassen und die Geschichten seiner Figuren nicht auszuerzählen. “Succulent” skizziert einen dystopischen Gesellschaftsentwurf, eine Mischung aus Science-Fiction-Vision und Sozialstudie. Ein ebenso soghaft-faszinierender wie beunruhigender Film.“
Bester Dokumentarfilm: WRITING WITH FIRE
“Writing with Fire” von den Regisseur*innen Rintu Thomas und Sushmit Ghosh erzählt die Geschichte der Journalistinnen von Khabar Lahariya – der einzigen vollständig weiblich besetzten Zeitungsredaktion in Indien. Die Journalistinnen berichten aus einer weiblichen Perspektive und davon, wie Ereignisse besonders im ländlichen Raum das Leben von Menschen aller Kasten beeinflussen. Die Regiseur*innen „fangen den Kampf der mutigen Journalistinnen gegen eine patriarchalische Gesellschaft und männlich dominierte Medienwelt ein. In atmosphärisch dichten Szenen begleitet der Film die Entwicklungen der Protagonistinnen aus der Bevölkerungsgruppe Dalit, für die im indischen Kastensystem kaum Bildungsmöglichkeiten vorgesehen sind. Die beobachtende Kamera fängt auch den digitalen Wandel der Redaktion gekonnt ein und zeigt einen Journalismus, der aus der Bevölkerung erwachsen ist, um Missstände aufzudecken und Demokratie und Menschenrechte zu stärken“, urteilt die Jury, bestehend aus Sabine Willmann (Film- und Theaterregisseurin, Medienpädagogin, Filmreferentin), SWR-Redakteur und Filmautor Stephan Zierhut und Dokumentarfilmerin Jannika Quaas. “Writing with Fire” sei ein spannendes Zeitdokument – Veränderungen sind nach Auffassung der Jury mit der nötigen Willenskraft und gegenseitigen Unterstützung auch unter schwierigen Bedingungen möglich.
Director’s Vision Award: PAKA – RIVER OF BLOOD
Der mit 1.000 Euro dotiere Director’s Vision Award zeichnet Regisseur*innen aus, die mit ihrem Filmbeitrag ein außergewöhnliches politisches oder soziales Engagement beweisen. Die Jury – Festivalleiter Oliver Mahn und die beiden Kuratorinnen Uma da Cunha und Therese Hayes – entschieden sich für “Paka – River of Blood” von Nithin Lukose. So begründet die Jury ihre Entscheidung: „Gewalt erzeugt weitere Gewalt, das ist eine alte Weisheit. “Paka – River of Blood” zeigt uns anhand des Mikrokosmos eines Dorfes, wie sich die Spirale der Gewalt entwickelt, angetrieben von Hass, Eifersucht und Neid. Die Handlung, die in einem indischen Dorf mit rivalisierenden Gangs spielt, lässt sich gut auf die allgemeine und aktuelle Weltlage projizieren. Der Film erinnert uns daran, dass mutige Menschen aufstehen und den Kreislauf von Misstrauen, Gewalt und Aggression durchbrechen müssen. Wir müssen uns diese Welt gemeinsam teilen. Am besten geht das in Freiheit und gegenseitigem Respekt. Und dafür ehren wir Nithin Lukoses Film “Paka – River of Blood”.”