Baden-Württembergische Jugendfilmpreise 2022 verliehen

Cornelius Baum, Ellen Weber, Adrian Zacke, Kilian Falter Vidal, Andreas Dürr, Chris Gruber, Finley Hartmann, Kasper Rafn, Leon Bader, Marie Freynik, Anna Broghammer, David Moosmann  und Felix Günter sowie Marie Mühleck, Julia Bordon, Abbe Daumüller, Jakob Kühner und Iva Rajic ausgezeichnet
12.12.2022 •
Betreff: Allgemein, JUFI

Zum Abschluss der Filmschau Baden-Württemberg 2022 wurden im Rahmen der feierlichen Preisverleihung in der Dürnitz Kulturlounge im Alten Schloss Stuttgart zum 19. Mal die Jugendfilmpreise Baden-Württemberg in elf Kategorien sowie die Goldene Orange im Partnerwettbewerb der VVS verliehen:

Bester Film

‘Wasserbären-Boy’ von Cornelius Baum

Begründung der Jury: “Weise Menschen sagen: Der Begriff „Komik“ komme aus dem Griechischen, gehe zurück auf einen Festzug. Na dann. Dieser Film ist ein Zug. Ein Fest in vollen Zügen. Zügellos und feste druff auf Klischees, Filmzitate, Zwerchfell. Mit Volltempo gespielt, geschnitten, vielleicht auch geschrieben, sicher improvisiert, ist dies ein guter Zug in guten Zeiten, schlechten Zeiten. Nicht nur dank Tina und Tom im Sturm der Diebe von Wahrheit und Salzklima-Gerechtigkeit. 1,5 Grad sind plötzlich lachbar! Ein Film als eine explosive Mischung einfacher Zutaten: Humor. Lust. Anarchie. Und einer Prise Salz. Am Ende bleibt nur eine Frage: Wann können wir den nächsten Film von Cornelius Baum sehen?”

Beste Schauspielerische Leistung

Ellen Weber als Maja in `Get funky´ von Lars und Bastian Leucht

Begründung der Jury: “Wenn die Geschichte das Publikum nicht durch Haken und Nebenstränge ablenkt, sondern alle Aufmerksamkeit auf das Gesicht der Hauptrolle fällt, tritt die wahre Herausforderung an das „Spielen“ zutage. Ohne Theatralik, mit Sensibilität für den Moment, hat uns die Leistung von Ellen Weber als Maja besonders berührt und überzeugt. Unprätentiös und mit einer mitreißenden Natürlichkeit zeigt sie, wie verwirrt und verletzlich Maja in der Nacht vor ihrem 18. Geburtstag ist. Eine herausragende Leistung einer jungen Schauspielerin, von der wir gerne mehr sehen möchten.”

Bestes Drehbuch

Adrian Zacke für ‘Shin’

Begründung der Jury: “Zwei Männer – vielleicht Freunde, auf jeden Fall Schicksalsgenossen – stolpern von einer Katastrophe in die nächste. Aber mit ihrer freundlichen Naivität finden sie stets wieder heraus. Ob sie ihre erhaltene Mission erfüllen oder vom Weg abkommen werden, wissen wir am Ende des Films nicht, aber irgendwie wissen wir, dass sie auch aus der nächsten gefährlichen Situation herausfinden werden. Eine runde und überzeugend umgesetzte Kurzgeschichte, klar und gut erzählt. In den Dialogen blitzt dabei stets ein wunderbar feiner Humor auf. Die Details und die Wahl, in japanischer Sprache zu arbeiten, beweisen ein besonders hohes Maß an Vorwissen und Einarbeitung in die Geschichte. Ein Drehbuch, das auf der Leinwand erzählt werden muss. Wir waren beeindruckt!”

Bester Dokumentarfilm

‘Free Runner’ von Kilian Falter Vidal

Begründung der Jury: “Kunterbunte Erlebnis- und Abenteuerwelt trifft auf Schwarz-Weiß-Look. Atmosphärisch dicht, wunderbar einfühlsam und klug visualisiert Kilian Falter Vidal die Perspektiven seines Protagonisten auf dessen Umwelten. Die ihn ausgrenzende Welt von Mobbingerfahrungen hallt nach, auch wenn er dieser schon längst entsprungen ist. Glaubhaft bildet der Film die Konzentrationsfähigkeit ab, mit der der Mensch über sich hinauswachsen kann. Schritt für Schritt, Sprung für Sprung zieht diese Dokumentation hinein in eine Welt, die aus langweiligem Stein aufregende Abenteuerreisen macht. Wie? Durch die Augen des Betrachters. Unaufgeregt und mit liebevoller Ernsthaftigkeit rutschen die Zuschauenden nicht in eine Risikosportart, sondern eine Sehnsucht, Hindernisse in unserem Alltag spielerisch überwinden zu können.”

Beste Animation

Andreas Dürr für ‚Disconnected Head‘ 

Begründung der Jury: “Schnelle Schritte auf Beton, ein angestrengtes Keuchen, monotoner Regen, immer gleiche Straßenfluchten, kurzes regloses Verharren hinter der nächsten Ecke – doch zu spät, entdeckt! Und weiter geht die Flucht vor diesen seltsamen Humanioden durch eine dystopisch-beklemmende Welt. Mit wenigen Strichen, beeindruckend polyperspektivischen, an Videogames geschulten Kamerafahrten und einer atmosphärisch dichten Soundlandschaft zieht uns Andreas Dürr tief hinein in seine geheimnisvoll-unheimliche Geschichte. Die Bilder sind mit großem Rhythmusgefühl geschnitten, Splitscreens erhöhen die Schlagzahl, Wiederholungen erzeugen ein klaustrophobisches Gefühl. Konsequent hält Andreas Dürr die atemlose Spannung, führt alles auf ein erlösendes Finish zu – und überrascht uns erneut. Hier stimmt einfach alles: Story, visuelle Umsetzung, Kamera, Schnitt und Sound. Großes Kino!”

Beste Kamera

Chris Gruber für `Die Vorführung´

Begründung der Jury: “Gefilmtes Theater, das funktioniert selten. Die Größe der Emotionen, das ausgestellte Spiel, es passt nicht zur feinen Beobachtung der Linse. Der Film ‚Die Vorstellung‘ benutzt genau diese Diskrepanz als Mittel, um die Entwicklung seines Protagonisten von der Probe bis zur Premiere zu beschreiben. Ein Versuch, der nicht zuletzt dank der agilen Kamera beeindruckend aufgeht. Christian Gruber lenkt unseren Blick und nimmt uns mit auf die Reise des Protagonisten. Seine Kamera ist nicht nur feiner Beobachter, sondern auch hautnah dran, sie lässt uns den Stress der Hauptfigur in den Proben spüren, die Beengtheit in der Umkleide, die Spannung kurz vor dem Auftritt. Wir folgen dem Helden auf Schritt und Tritt und stolpern schließlich mit ihm auf die Bühne. Seine Entwicklung wird erlebbar, sein später Applaus ist unserer – bis die Kamera ihn schließlich stehen lässt…in der Verlorenheit, und uns mit ihm. Eine großartige Leistung!”

Bester Schnitt

Finley Hartmann für ‚Der Koffer‘ 

Begründung der Jury: “In bester ‚Hateful 8‘-Manier ist ‚Der Koffer‘ ein konzentriertes Kammerspiel: ein Raum, vier Figuren, ein zentrales Requisit – ganze 40 Minuten lang. Dass der Film bis zum Schluss spannend bleibt, daran hat vor allem Finley Hartmann großen Anteil. Er schenkt allen Figuren seine Aufmerksamkeit, lässt alle ihre Geschichte erzählen – auch wenn sie keinen Text haben. Er fängt mit klugem Schnitt und Gegenschnitt die Dynamik der Dialoge ein und lässt gleichzeitig in beobachtenden Großaufnahmen die Gesichter ihre eigenen Geschichten erzählen, gibt ihren Emotionen die große Bühne. Finley Hartmann beweist mit seiner Montage großes Gespür für Timing. Dazu gratulieren wir ganz herzlich!”

Beste Visual Effects

Kasper Rafn für ‚Wasserbären-Boy‘

Begründung der Jury: “Männer, die wie Ziegen starren, prall-plumpe Patchwork-Collagen im Retrostil, Superboy-Helden, die per Umhänger durch die Galaxis der Kanalisation auf- und abswitchen, wie es euch gefällt. Anarchische Monsterface-Kritzeleien wie auf der letzten Schulklotür, individueller Regen oder allgemeine Erklärbär-Visualisierungen… Hier zerreiben nicht nur abstürzende Greenscreens lustvoll die Illusionsmaschine, hier bekommen ADHS-Superkräfte auch in der Sparte Visual Effects die Aufmerksamkeit, die sie einfach brauchen, um die Welt zu retten oder sich selbst wegzuschmeißen – vor Lachen. Dem Kasper sei Dank – Kasper Rafn.”

Bester Clip

Leon Bader für ‘Corvette – Yeva’

Begründung der Jury: “Drei Minuten Clip. Zwei Gründe. Ein Preis. So geht das. Erstens preiswürdig: Durch gekonnte Moves vor und hinter der Kamera, mit passendem Song, geschmeidigen Starlets und einem Sonnenuntergang, der die Beverly Hills dort aufblitzen lässt, wo das wahre Set heißt: „Stuttgart, Kesselrandlage“. Zweitens preiswert, denn: Der eigene Mini (gemeint ist das Auto) schwillt gedanklich zur Corvette, verbindet trockene Produktionsbedingungen und feuchte Fantasie, visualisiert die Songline-Reimfolge „Maisonette, Parkett, Bett“ unerbittlich chillig und willig. Warum in ferne Mainstreamkulturen reisen, wenn alles ganz nah ist und nur den richtigen Griff braucht – Song-Zitat: „Wird es kalt, halt ich mich an Dein‘ Body“. Preiswert. Preiswürdig: Leon Bader weiß, wie‘s geht – für tiefergelegte Fahrgestelle und sicher auch für höhere (Preis-) Lagen.”

Bestes Ensemble

Das Ensemble von `Wasserbären-Boy´ von Cornelius Baum

Begründung der Jury: “Durch den gesamten Wettbewerb haben wir beeindruckende Ensembleleistungen erlebt, Spieler*innen, die voller Verve, Lust und Spielfreude Geschichten erzählten und uns Jury zu fesseln wussten. Das Ensemble von ‚Wasserbären-Boy‘ hat uns dabei nicht mehr losgelassen und durch seine Homogenität, seinen Witz und seine Kraft überzeugt. Trotz der wilden Geschichte bleiben die Figuren echt, werden nie bloßgestellt, sondern lustvoll und abwechslungsreich gezeichnet, sodass wir nicht nur dem Protagonisten begeistert folgen. Wir können uns den Spaß bei den Dreharbeiten vorstellen und hatten mindestens den gleichen beim Gucken! Eine preiswürdige Ensembleleistung!”

Förderpreis

`Ich wünsche mir…´ von Marie Freynik, Anna Broghammer, David Moosmann und Felix Günter

Begründung der Jury: “Die gesamte Jury war berührt und überzeugt: Diese Gruppe junger Menschen muss unbedingt den Förderpreis erhalten. Beeindruckend, wie kreativ, mit so einfachen Mitteln, viel Engagement und Akribie und zugleich so abwechslungsreich das junge Team sich dem schweren Thema unserer Zeit gewidmet hat. Von dem vertrauten heimischen Kinderzimmer geht in wenigen Minuten die Reise spielerisch leicht in den freien blauen Himmel, irritiert im individuellen Höhenflug, nimmt unentrinnbar in den Bann mit bunten, kindlichen Bombenbildern, zurrt einen fest im Bunkerkellerdunkel. Die jungen Filmemacher*innen haben geschafft, was wir uns von Film erhoffen: ‚Ich wünsche mir…‘ hat uns tief bewegt und eintauchen lassen in ein Thema, das wir sonst gerne nur rational betrachten. Mit dem Förderpreis wollen wir sie anregen, weiterzumachen und auch zukünftig ihre Geschichten mit den vielen visuellen Möglichkeiten des Films uns, dem Publikum, zu erzählen.”

VVS Goldene Orange

`Wohin gehst du heute?´ von Marie Mühleck, Julia Bordon, Abbe Daumüller, Jakob Kühner und Iva Rajic

Begründung der Jury: “Mit klaren Bildern, passender Tonuntermalung und Humor, zeigt der Film ‘Wohin gehst du heute?’ die Magie, die in einem Ticketautomaten stecken kann. Egal ob in die Natur, ins Fußballstadion oder ins Schwimmbad – die Ziele, die der Protagonist durch das Lösen eines Fahrscheins erreichen kann, werden bereits vor Reiseantritt kreativ visualisiert. Er braucht sich nur noch zu entscheiden. Und zwar nicht nur, wohin er heute fahren will, sondern auch, wer er heute sein möchte. Was beim Zusehen sogleich den Wunsch weckt, gerne selbst vor diesem Zauberkasten zu stehen. Herzlichen Glückwunsch für diese gelungene Umsetzung!”

Das Filmbüro Baden-Württemberg gratuliert allen Gewinnerinnen und Gewinner ganz herzlich!

Und der Jury saßen Anna Leippe (Haus des Dokumentarfilms, Landesfilmsammlung), Katharina Parpart (Filmbüro BW, SWR Fernsehen), Helgi Schmid (Schauspieler, Sprecher) und Frederik Zeugke (Dozent Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart).

Gemeinsam mit den Baden-Württembergischen Filmpreisen wurden insgesamt 18 Preise im Gesamtwert von 15.000 Euro vergeben. „Trotz aller Krisen lebt der Film vielfältig wie eh und je. Der beste Beweis: die Filmschau. Das Festival bietet den Filmfans Kinoerlebnisse über sämtliche Genres hinweg“, sagte Kunst-Staatssekretär Arne Braun. Festivalleiter Oliver Mahn vom veranstaltenden Filmbüro Baden-Württemberg zog eine positive Bilanz: „Das Publikum kehrte dankbar zurück und die Filmbranche im Land freute sich über die im Kinosaal erlebten Reaktionen auf die aktuellen Produktionen“.